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FachbeitragUX & Service Design
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Warum weniger einfach mehr performt – UX-Design nach Miller’s Law

UX-Designer:innen kennen die Diskussion. Vielleicht noch eine Auswahlmöglichkeit hier? Noch ein zusätzliches Feature da? Wie wäre es mit einem weiteren Mehrwert, der dieses Produkt ausmacht!  Unternehmen haben unglaublich viel zu bieten und wollen den anspruchsvollen Kund:innen gerne alle Informationen mitteilen, jede Chance auf Flexibilität nutzen. Dabei lassen sie einen Entscheidungsfaktor außer Acht, der in unserem digitalen Zeitalter an fundamentaler Bedeutung gewinnt: Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist endlich – um bei Kund:innen Eindruck zu hinterlassen, müssen wir ihnen entgegenkommen. Das ist wissenschaftlich belegt.

Vom Gefühl zur Wissenschaft: Ab wann das Gehirn abschaltet

Beim Erstellen einer Präsentation, dem Design von Webseiten oder der Gestaltung funktionaler Interfaces sagt uns oft schon das Bauchgefühl: “Hier müsste man verschlanken.” Doch im Prozess einer Produkt- oder Webentwicklung schleichen sich die rationalen Bedenkenträger ein. Haben wir auch wirklich alles erwähnt? Müsste der/die Nutzer:in hier nicht noch eine Auswahlmöglichkeit bekommen? Bevor wir uns dieser Ratio mit wissenschaftlichen Argumenten entgegenstellen, lasst euch gesagt sein: Das Bauchgefühl ist auch bei UX-Entscheidungen euer Freund. Denn viele unserer intuitiven Entscheidungen basieren auf tatsächlich empirisch belegbaren, durch die Evolution verinnerlichten Verhaltensmustern. So lässt sich auch unsere Kapazität zur Informationsaufnahme durch psychologische Studien messen, die wir freundlicherweise nicht persönlich in jahrelanger Forschungsarbeit zusammentragen mussten. Ein anerkannter Psychologe hat dies bereits 1956 für uns erledigt.

Gestatten, Herr Miller und seine Magic 7 +/- 2

George A. Millers Veröffentlichung “The Magical Number Seven, Plus or Minus Two: Some Limits on Our Capacity for Processing Information” gehört bis heute zu einer viel zitierten Quelle für Psycholog:innen, aber auch Informationsdesigner:innen. Miller trug darin unter anderem Erkenntnisse aus Experimenten seiner Kolleg:innen zusammen, die sich allesamt mit der menschlichen Aufmerksamkeitsspanne befassten. Seine Konklusion bestand darin, dass der Mensch in seinem Kurzzeitgedächtnis  Informationseinheiten von 7 plus minus 2 optimal verarbeiten kann. Miller folgte damit zunächst auch einem rumorendem Bauchgefühl, das er durch die wissenschaftlichen Studien seiner Kolleg:innen belegt sah.

For seven years this number has followed me around, has intruded in my most private data, and has assaulted me from the pages of our most public journals. (…) The persistence with which this number plagues me is far more than a random accident.

There is, to quote a famous senator, a design behind it, some pattern governing its appearances.

George A. Miller

Miller zieht in seiner Veröffentlichung die Arbeit vieler Kolleg:innen heran, wie etwa ein Gedächtnis- und Wahrnehmungsexperiment von Irwin Pollack. Unter anderem wurden Teilnehmer:innen an Studien Töne in unterschiedlichen Höhen präsentiert, die sie nach Nummern benennen mussten. Handelte es sich um lediglich vier oder fünf zu identifizierende Tonfrequenzen, war die Trefferquote besonders hoch. Ab sieben unterschiedlichen Tonfrequenzen sank die Wiederkennungsquote der Proband:innen jedoch drastisch. Ähnliches wurde bei Experimenten mit Buchstaben oder einsilbigen Wörtern festgestellt, die bei einer Anzahl von um die Sieben am besten in Erinnerung blieben.

millers law experiment einkaufsliste kurz lang

Miller’s Law: Was bedeutet sie für unser Information Design?

Die Schlussfolgerung klingt einfach, wird jedoch selbst von den fortschrittlichsten Marken im UX-Design gerne überstolpert. Denn im Web-Entwicklungsprozess will man eben gerne schnell alles auf einmal, gestern statt heute.

Damit Menschen Informationen jedoch optimal verarbeiten können, sollten wir uns die Mühe machen, große Mengen in kleinere Stücke (Chunks) aufzuteilen. Das gilt für viele Bereiche: Teams ohne Hierarchien arbeiten effizienter bei einer Größe von maximal 7, Gliederungsebenen in Dokumenten sollten nicht mehr als 7 Subunterschriften haben, und auch eine Navigation sollte die Anzahl von 7 Elementen nicht überschreiten. Es überfordert unser Kurzzeitgedächtnis schlichtweg. 

Dabei können Informationen zu einer Gruppe zusammengefasst werden, die für den/die Nutzer:in Sinn macht, weil etwa ein logisches Muster dahinter steckt.

millers law experiment einkaufliste logische gliederung

Für Erstnutzer:innen eines Produkts, einer Software oder einer Webseite ist es besonders schwierig, Informationen schnell und nachhaltig zu erfassen. Versetzt euch in die Lage eines Menschen, der lesen lernen muss. Zunächst erkennt er in dem Wort m-e-r-k-e-n nur 6 unterschiedliche Informationseinheiten. Hat er das Muster gelernt, wird er merken in Zukunft zu einer Einheit zusammenfassen und kann sich besser an ganze Wortgruppen erinnern. Die meisten eurer Nutzer:innen werden euer digitales Produkt in einem Erstaufruf der Webseite, einem Download der App oder einem kostenlosen Trial kennenlernen. Sie kennen eure Informationsstruktur nicht – umso wichtiger ist es, hier auf Gelerntes, Vereinfachung und sinnvolle Gruppierung zurückzugreifen.

Die meisten Nutzer:innen kennen eure Informationsstruktur nicht – umso wichtiger ist es, hier auf Gelerntes, Vereinfachung und sinnvolle Gruppierung zurückzugreifen.

Dazu noch: Der Serial Position Effect

Miller wies zudem noch auf eine weitere Erkenntnis hin. Der sogenannte “Serial Position Effect” beschreibt das Phänomen, dass sich Menschen am besten an die ersten Positionen in einer Liste erinnern können und zudem auch gut an die Letzte. Die Informationen in mittlerer Position gehen am schnellsten verloren.

Was bedeutet dies für das Informationsdesign, etwa einer Webseite? Wir empfehlen, wichtige Argumente an den Anfang und, bekräftigend, an den Schluss zu stellen, während sich im mittleren Bereich der Webseite eher ergänzende Argumente, leicht verdauliche oder visuelle Informationen befinden. Dieser “Gedächtnis”-Trick bietet sich ebenso für Präsentationen und Vorträge an.

millers law beispiel serial position effect

Fazit: Die Magic 7+- als universales UX-Prinzip?

Die Zahl Sieben (plus minus 2) Sollte man sich also gut m-e-r-k-e-n, wenn es um modernes Informationsdesign geht. Im Licht der Digitalisierung existieren bereits neuere Theorien, die Millers denkwürdige Erkenntnisschrift differenzierter betrachten und die magische Zahl 7 in Frage stellen. Auch spielen aktuelle Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung eine entscheidende Rolle, wenn es um das Informationsdesign digitaler Interfaces geht: Unsere Aufmerksamkeitsspanne verringert sich zusehends und unsere Aufnahmefähigkeit von Informationen schwindet. No joke – it’s science! Dies unterstreicht nur noch nachdrücklicher unsere UX-Empfehlung: Weniger ist mehr. Eure Kund:innen werden euch mit Aufmerksamkeit belohnen.

What about the seven wonders of the world, the seven seas, the seven deadly sins, the seven daughters of Atlas in the Pleiade? (..)Perhaps there is something deep and profound behind all these sevens, something just calling out for us to discover it. But I suspect that it is only a pernicious, Pythagorean coincidence.

George A. Miller

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Fachbeitrag
04.01.23

Personas