Virginia Schäfer

Bravest User of the Universe — Aus Nutzer:innen werden Held:innen... und treue Fans der Marke

Ein Fachbeitrag von Virginia Schäfer   |   
18. Februar 2022   |   5 Minuten Lesezeit

Bravest User of the Universe

Wart ihr schon im neuen James Bond? Der, in dem Agent 007 die Welt rettet und dabei nicht stirbt? Falls nicht, wisst ihr ja bereits, wie der Film enden wird. Denn die Story verfolgt immer dasselbe Muster: Die klassische Heldenreise. Warum? Weil Zuschauer:innen dieses Muster lieben. Daher machen sich Werbestrategien und Apps die Heldenreise ebenso zu Nutze, um genau eins zu erreichen – dass wir sie lieben und immer wieder kommen, auch wenn wir wissen, wie es für unseren Geldbeutel ausgeht. Was den Reiz der Heldenreise ausmacht und wie ihr das Erfolgsrezept aus Hollywood auf eure nächste App übertragt, erfahrt ihr hier.

Am Anfang war…

Was ist genau die Heldenreise?

Die Heldenreise ist, kurz gesagt, ein universelles Prinzip, Geschichten zu erzählen. Vor etwa 100 Jahren machte sich der Literaturprofessor Joseph Campbell die außerordentliche Mühe, Mythologien und Legenden aus aller Welt und allen Kulturkreisen auf ein wiederkehrendes Muster zu untersuchen. Er suchte die weltweit gemeinsame Basis, die eine gute Geschichte ausmacht. Dabei fand Campbell heraus, dass es in den einprägsamsten Stories immer um eine Hauptfigur ging, die sich transformativ entwickelt. Von einem Menschen, der aus seiner normalen Welt ausbricht und dem Ruf des Abenteuers folgt hin zu seiner Rückkehr mit einer veränderten Sicht auf die Welt oder einer rettenden Lösung für ein Problem. Und tatsächlich, heute basiert fast jeder Hollywood und Netflix-Streifen auf genau diesem Prinzip: Probiert es aus, nehmt eure:n Lieblingsheld:in und stellt fest, dass sich die Figur genau entlang der universellen Spannungskurve bewegt.

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Die Heldenreise beginnt…

Schön und gut, aber wie nutze ich das für meine UX?

1. Der Ruf des Abenteuers

Beginnen wir mit dem Lockruf in die schöne neue Welt. Ein Abenteuer reizt uns nur, wenn uns in der gewohnten Umgebung etwas fehlt. Niemand würde einen Berg besteigen, wenn er sich bereits auf der heimischen Couch wie ein toller Hecht fühlt. Niemand kauft ein Motorrad, wenn er:sie sein Feeling von Freiheit schon durch den VW-Kombi erfüllt sieht. Und niemand wird sich nicht von Beauty-Werbung verführen lassen, wenn er:sie sich rundum atemberaubend findet. Ihr ahnt es: Es geht darum, die tiefsten emotionalen Bedürfnisse der Kund:innen anzusprechen. Also findet sie heraus!

“Du ziehst nur ins Abenteuer, wenn du eine Sehnsucht verspürst. Wenn dir nichts fehlt, wirst du keinen Finger krumm machen. Noch nicht einmal für die schönste App der Welt.”

Ein guter Ruf ins Abenteuer lockt immer mit einer emotionalen Kernbotschaft, die den Kund:innen vor Augen führt, was ihnen fehlt: Erlebe mal wieder was, sagt Airbnb zu der gelangweilten Couch Potato. Fühl’ dich schöner, haucht L’Oreal uns ins Ohr. Wir wägen kurz ab: Aber das wird uns doch unser ganzes Vermögen kosten! Und zack – verfallen wir dem Ruf und klicken in die App. Die Heldenreise nimmt ihren Lauf.

2. Ein Weg voller Hürden und Fallen

Jetzt geht der Spaß erst richtig los. In einer App, das wissen die UX-Designer, müssen potenzielle Käufer:innen gegen zahlreiche innere und äußere Hürden ankämpfen. Denn, und das weiß auch der:die geneigte James Bond-Zuschauer:in: Ein:e Held:in hat immer mächtige Gegner:innen. Ansonsten wäre die Geschichte recht schnell vorbei und der Payoff irgendwie lahm. Die Gegner:innen auf Airbnb sind: Mein Geiz. Will ich das Geld wirklich ausgeben? Meine Zeit: Kann ich überhaupt in Urlaub gehen? Meine Zweifel: Ist das ein:e vertrauenswürdige:r Vermieter:in? Gegen all diese antagonistischen Kräfte kämpft die App als unsere treuere Begleitung mit kleinen Tricks an der richtigen Stelle an. Mit Rezensionen, die uns Sicherheit geben. Künstlichen Verknappungen des Angebots, die uns sagen, dass wir jetzt zuschlagen müssen, sonst ist die Chance vorbei. Vorschläge von günstigeren Unterkünften zur selben Zeit und so weiter.

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Ein seltenes Fundstück? Dann lieber schnell zuschlagen!

Puuh. Wir haben uns schon ganz schön durchs Dickkicht gekämpft. Zeit für eine Werbepause. Holt eure Snacks.

3. Der letzte Kampf und die große Belohnung

James Bond hat sich also fast bis zur Traumunterkunft auf der Insel Samoa durchgeballert. Doch jetzt schiebt sich die letzte große Verlockung wie ein dunkler Schatten um die Ecke, bevor er den alles entscheidenden „Ja, ich buche“-Button klickt. Die mannshohe Amazone, bei der ihm die Knie weich werden, oder in unserem Falle: Booking.com! Da könnte ja noch etwas Billigeres zu finden sein. Aber genau in diesem kritischen Moment erinnert uns Airbnb mit seinen wunderschönen Location-Bildern, der wohligen Einkaufsatmosphäre und dem liebevollen Branding daran – nein, Booking.com ist doch was für Langweiler:innen.

Ja, noch viel mehr: Airbnb schickt Unentschlossenen, die noch nicht gebucht haben, auch eine Mail mit Bildern der zuletzt angeschauten Unterkunft, um durch die Blumen mit dem Zaunpfahl zu winken: Du wolltest doch ein Abenteurer sein. Jemand, der was erlebt! Erinnere dich an dein Ziel, James!

Mit diesen vielen kleinen Tricks an der passenden Stelle ziehen die UX-Designer die User immer wieder auf die Plattform. Und endlich, der erlösende Klick ertönt. Die Welt ist gerettet, die Feriensuite ist gebucht, und auf deinem Bildschirm erscheint ein belohnendes:

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“Your reservation is confirmed”… Kaum zu glauben, wie gut sich das anfühlt!

4. Vom Hero zum Brand Ambassador

Die Freude über unser gelungenes Nutzererlebnis währt nicht nur für den Moment – das belohnende Gefühl verankert sich als eine positive Erinnerung in unserem Gedächtnis. Wir kehren mit der gebuchten Unterkunft, unserem rettenden Elixier, in unsere nun veränderte Welt zurück und die App animiert uns in diesem Zustand der Mikro-Euphorie sogleich, dieses Abenteuer auch Freund:innen weiterzuempfehlen. Auch durch ein Newsletter-Abo steigt die Wahrscheinlichkeit, die App weiter zu empfehlen oder wieder zu nutzen. So wie wir immer wieder einen guten Film anschauen. We know what we get and we loved it. Großes Kino!

Überlebt!

Und was haben wir für unsere UX gelernt?

Damit eure App genau so viele Endorphine abwirft wie ein Actionfilm oder eine Romantic Comedy gilt wie eh und je: Versetzt euch in eure Nutzer:innen. Eure Held:innen! Dabei solltet ihr euch vorab mit einigen zentralen Kernfragen auseinandersetzen:

  1. Was ist ein fehlendes emotionales Bedürfnis, das euer Produkt erfüllen kann?

  2. Welche Hürden und Bedenken müssen aus dem Weg geräumt werden, damit sich die Held:innen bis zum Ziel, der Conversion, durchklicken?

  3. Wie können wir uns als Marke authentisch und entlang der gesamten Reise von Wettbewerbern differenzieren, damit die Held:innen die Reise bis zum Ende mit uns durchhält?

Geht eure App-Entwicklung an wie Steven Spielberg: Habt Spaß an der Sache, dann wird euer Produkt auch eure User erfreuen. Und ab und zu könnt ihr durch die ein oder andere unvorhersehbare Wendung überraschen. Denn auch Marken dürfen sich weiterentwickeln, in der Tonalität reifen und neue Ansätze ausprobieren. Genauso wie der neue James Bond.

Quellen:
Interaction Design Kit — Supporting the process of the application character design from the Interaction Designer’s perspective (Ünal, Enes, Hochschule Darmstadt, 2016)