History of Mobile UX Design
Vom gefürchteten Internet Button zur Always-on-Mentalität
Bequem von überall arbeiten, auf dem Nachhauseweg schon mal die Heizung im Bad aufdrehen, schnell noch Hundefutter bestellen und abends auf der Couch den oder die Partner:in fürs Leben finden – wir blättern, wischen, ziehen und tippen uns mittlerweile auf mobilen Endgeräten durch alle Bereiche unseres Lebens. Was uns heute so leicht von der Hand geht, ist das Ergebnis jahrelanger Entwicklungen rund um das optimale Nutzungserlebnis. UX-Designer:innen sind ohne Zweifel die stillen Held:innen unseres digitalen Alltags.
Wir haben uns auf die Suche nach den großen Zukunftsaufgaben im Bereich User Experience gemacht und konnten dabei nicht umhin, auch einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Was hat sich im Mobile UX Design getan, seit Steve Jobs 2007 mit dem ersten iPhone die Welt für immer verändert hat? Und welche Entwicklungen werden UX Designer:innen in Zukunft in Atem halten und kreative Lösungen erfordern? Bitte einmal festes Schuhwerk und gute Laune einpacken! Es ist Zeit für eine Exkursion ins Thema UX-Historie.
Von Ziegelsteinen zu Zauberstäben
Bereits 1994 erblickte das erste Smartphone das Licht der Welt. Der Personal Communicator Simon von IBM war zwar noch ein echter Klotz mit geringer Bildschirmauflösung (160 x 293 Pixel), verfügte aber bereits über einen integrierten Taschenrechner, eine Kalenderfunktion und ein Schiebepuzzle zum Zeitvertreib. Bedient wurde der Smartphone-Pionier mit einem Stylus. Heute hat das Gerät einen festen Platz im Londoner Science Museum, denn es markiert den Beginn einer Entwicklung, die erst viel später mit dem ersten iPhone ihren großen Durchbruch erlebte. Das von Steve Jobs im Januar 2007 vorgestellte Gerät löste eine Revolution aus, die unser aller Leben veränderte: Fließendes Scrollen, Multi-Touch-Screen, keine physische Tastatur mehr, mobiles Internet für alle. Ein Jahr später folgte der Wettbewerber Samsung mit dem ersten Android-Smartphone. Es war der Beginn eines bis heute andauernden Wettlaufs zwischen iOS und Android um technologischen Fortschritt, das beste Nutzererlebnis und vor allem um Verkaufszahlen.
Wachsende Displays, grenzenlose Möglichkeiten
Zweifellos haben sich die Nutzungsmöglichkeiten mobiler Endgeräte in den letzten 25 Jahren rasant entwickelt. Interessanterweise hat sich aber die Art und Weise, wie wir mit den Geräten umgehen, schon früh festgefahren. Das zeigt eine Feldstudie des UX-Experten Steven Hoober, der sich bereits seit 1999 mit Mobile- und Multi-Channel-Design beschäftigt und heute als Senior UX Design Consultant für HP tätig ist. Bereits 2013 stellte er bei der Beobachtung von 1.333 Menschen in Alltagssituationen fest, dass es genau drei Arten gibt, ein Smartphone zu halten: einhändig, beidhändig, wobei eine Hand das Gerät stabil hält, und beidhändig, wobei der Touchscreen mit den Fingern beider Hände bedient wird. Daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert.
Dagegen verändern sich die Anforderungen der Nutzer:innen an mobiles Design mit jeder neuen Gerätegeneration. Das Display des allerersten iPhones beispielsweise war gerade einmal 3,5 Zoll groß. Das neueste und größte Modell iPhone 14 Plus hat heute bereits eine Bildschirmdiagonale von 6,7 Zoll, also stolzen 17 cm. Für das UX Design bedeutet dies, mehr Inhalte, Multitasking-Möglichkeiten und einen gestiegenen und sich ständig verändernden Medienkonsum durch kreative und interaktive Lösungen für Benutzeroberflächen aufzufangen. Denn neben dem immer weiter wachsenden Display wollen User:innen selbstverständlich nicht auf Komfort verzichten.
Gleichzeitig haben Smartphones neue Arten der Interaktion mit einem Bildschirm ermöglicht. Frühe Geräte konnten nur auf einzelne Berührungen reagieren. Heute verwenden wir bis zu drei Finger, um beispielsweise Inhalte zu vergrößern oder Befehle wie das Aufrufen von Werkzeugleisten in der Textverarbeitung auszuführen. UX Designer:innen mussten lernen, diese Gesten in ihre Designs einzubinden und sicherzustellen, dass die Interaktionen reibungslos und intuitiv funktionieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dies ausreichend aussagekräftige Daten über das Nutzungsverhalten voraussetzt, die nur durch zeit- und kostenintensive ausführliche Nutzertests gewonnen werden können. Ein Wettlauf gegen die Zeit, um mit dem Wettbewerb mithalten zu können.
Mobile First! Mobile Ansicht hat Priorität.
So will es mittlerweile der ungeschriebene Standard. Denn die Nutzung von Smartphones hat sich zu einem festen Bestandteil unseres Alltags entwickelt. Menschen greifen von unterwegs auf das Internet zu und erwarten dabei eine optimale Nutzererfahrung, unabhängig vom genutzten Gerät. Funktioniert eine Website oder eine App nicht so bequem, wie User:innen es erwarten, kann dies zu Frustration führen und damit wiederum zu einer hohen Absprungrate und im schlimmsten Fall zu einem Verlust potenzieller Kund:innen.
Der Mobile-First-Ansatz im UX-Design fordert Designer:innen immer wieder heraus, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und eine benutzerfreundliche Erfahrung auf relativ kleinen Bildschirmen zu schaffen. Er ermutigt dazu, genau die Inhalte und Funktionen zu priorisieren, die für mobile Nutzer:innen am relevantesten sind und die Benutzeroberfläche dabei schlank und intuitiv zu gestalten. Darüber hinaus hat Mobile First auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Inhalte präsentiert werden. Kurze und prägnante Texte, gut platzierte Calls-to-Action und eine optimierte Navigation sind entscheidend, um effiziente Interaktionen auf mobilen Geräten zu ermöglichen.
Gewohnheiten verschmelzen zum Standard
Disruptive Technologien bieten viele Möglichkeiten zum Experimentieren, bis sich ein gewisser Standard etabliert hat. Dies ist auch bei mobilen Endgeräten der Fall. Entwickler:innen haben über die Jahre viele neue Interaktionen und Layouts ausprobiert, um ein besseres Verständnis davon zu bekommen, wann welches Muster am besten verwendet werden sollte. Gute Beispiele hierfür sind die Navigationsleisten und das Hamburger Menü. Letzteres wird trotz seines geringen Informationsgehalts vor allem deshalb so häufig genutzt, weil Nutzer:innen gelernt haben, damit umzugehen und es praktisch auf allen Websites erwarten.
Durch diese Stabilisierung des Designs können UX-Designer nun auf bewährte Muster zurückgreifen und darauf aufbauen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Innovation und Experimentieren nicht mehr möglich sind. Vielmehr bietet es eine solide Basis, auf der weitere Verbesserungen und Anpassungen vorgenommen werden können, um die User Experience kontinuierlich zu optimieren. Die Herausforderung besteht darin, die richtige Balance zu finden – das Vertraute zu bewahren und gleichzeitig neue Ansätze zu erforschen, um die Bedürfnisse der Nutzer bestmöglich zu erfüllen.
Ein Blick in die Kristallkugel
Im Jahr 2018 nannte die UX Koryphäe Jakob Nielsen in einem Vortrag einige Herausforderungen, denen sich das UX Design in den nächsten 25 Jahren stellen muss. Das große Zukunftsthema Künstliche Intelligenz nimmt selbstverständlich auch hier viel Raum ein. Die große Herausforderung für das UX Design werde es sein, technologische Möglichkeiten und Funktionalitäten nicht um der Technik willen einzusetzen, sondern diese zu nutzen, um die Bedürfnisse der User:innen zu erfüllen. Denn nur weil etwas technisch möglich ist, heiße das noch lange nicht, dass es auch für die User:innen von Vorteil sei, so Nielsen. User Centered Design muss die Devise lauten.
Ein weiterer Punkt seines Vortrags ist die Gestaltung mobiler Interaktionsmöglichkeiten für eine immer älter werdende Gesellschaft. Barrierefreiheit und intuitive Bedienbarkeit werden gerade für diese Zielgruppe unverzichtbar sein. Darüber hinaus weist Nielsen auf die Notwendigkeit von praktikablen Sicherheitslösungen hin. Denn die heutigen Anforderungen an Passwörter führten dazu, dass Menschen die unzähligen geforderten Zugangscodes schließlich doch auf Post-its notierten, die sie dann frei zugänglich in ihrer Schublade ablegten. Es sei daher die Aufgabe von UX Designer:innen, Sicherheitsaspekte über alle Systeme hinweg neu zu denken und an menschliche Verhaltensweisen anzupassen, um vereinfachte Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten und damit die User Experience zu verbessern.
Während der Fahrt schnell eine Nachricht checken und dabei einen Unfall riskieren? Auch hier sieht Nielsen eine zukünftige Aufgabe des UX Designs, nämlich die Ablenkung von Autofahrer:innen durch mobile Apps drastisch zu reduzieren und damit im besten Fall Leben zu retten. Generell wird das Thema App-Entwicklung Designer:innen weiterhin auf Trab halten. Sei es bei den Themen Augmented oder Virtual Reality, Voice Enabled Apps oder auch 5G Internet, das schnellere Bedienung und verbesserte Konnektivität verspricht.
Die größte Herausforderung im UX Bereich sieht Nielsen jedoch darin, die bereits erarbeiteten Handlungsempfehlungen für eine sinnvolle UX Gestaltung weiter im Bewusstsein der Verantwortlichen zu verankern. Trotz aller Bemühungen, die Regelwerke zum Standard zu erheben, gebe es nämlich immer noch sehr viele Designer:innen, die sich nicht an diese hielten und dadurch die User Experience unnötig verkomplizierten bzw. an den Bedürfnissen der User:innen vorbei entwickelten.
„Wir befinden uns erst bei 10% dessen, was im UX Design tatsächlich möglich ist. Sehen wir es positiv: Das gibt uns die große Chance, 90% schon heute mitzugestalten und die User Experience plattformübergreifend signifikant zu verbessern“
Jakob Nielsen, UX Pionier
Das Wichtige und Richtige nicht aus dem Blick verlieren
Gerade aufgrund dieser Entwicklungen werden die Themen Ethik, Transparenz und Vermeidung von Bias auch im UX Design an Bedeutung gewinnen. Die Einhaltung ethischer Grundsätze muss sicherstellen, dass die Bedürfnisse und Rechte der Nutzer:innen respektiert und potenzielle Vorurteile oder Diskriminierungen vermieden werden. Darüber hinaus ist Transparenz von entscheidender Bedeutung, um den Nutzer:innen klare Informationen über Funktionalität, Datenverwendung und Datenschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte kann das UX Design einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben und Vertrauen bei den Benutzer:innen aufbauen
Fest steht, dass UX Designer:innen auch in Zukunft vor der Herausforderung stehen werden, sich kontinuierlich über die neuesten Technologien und Trends zu informieren und diese geschickt in ihre Designs einzubinden. Ob Smartwatch als Smartphone-Erweiterung am Handgelenk, die VR Brille im Gesicht oder vielleicht eines Tages ein Chip, der unsere Gedanken liest: Die Grundprinzipien Nutzerzentrierung, klare Kommunikation, einfach Navigation und barrierefreies Design werden auch in Zukunft von großer Bedeutung sein.
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