So läuft der Usability-Hase
Mit fünf Guerilla-Tester:innen zur perfekten Usability
„Den nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte.“
Lewis Carroll in „Alice im Wunderland“
Das Usability Design ist vergleichbar mit dem weißen Kaninchen, das Alice intuitiv dazu bringt, ihm zu folgen. Es dient als unsichtbarer Wegweiser, fasziniert, schürt Vorfreude und fesselt. Um diese Magie zu erzeugen, braucht es zum Glück keinen Zauberstab. Es genügen eine ausgefeilte Teststrategie und eine drei- bis fünfköpfige Guerilla-Einheit Usability-Tester:innen.
Wer braucht Usability-Tests?
Wir sind im Alltag und bei der Arbeit ständig mit digitalen Bedienoberflächen konfrontiert. Waschmaschinen, Autoradios, komplexe Bedienelemente für Maschinen und natürlich Webseiten und Applikationen – wir klicken uns fröhlich durch die digitale Landschaft. Im besten Falle, ohne viel darüber nachzudenken. Diese intuitive Benutzer:innenerfahrung entsteht durch ein ausgereiftes Usability Design.
Grundsätzlich sollte jedes neue digitale Produkt von ausgewählten Testpersonen aus der ermittelten Zielgruppe auf seine Funktionalität und intuitive Handhabung hin getestet werden. Im optimalen Fall startet man diese Testphasen während der Entwicklung mit klickbaren Dummies.
Aber auch etablierte Webseiten oder Apps neigen dazu, mit Information überladen zu werden oder sich in wachsenden Strukturen zu verlieren. Nur durch die Brille der eigenen Zielgruppe können alle relevanten Problemstellen sichtbar gemacht und – zugunsten einer positiven Nutzer:innenerfahrung – beseitigt werden.
Sind Usability-Tests nicht unheimlich zeit- und kostenintensiv?
Schon vor etwa 30 Jahren, als das Internet und digitale Bedienoberflächen noch in ihren Kinderschuhen steckten, entstand innerhalb einer Studie der UX-Pioniere Jakob Nielsen und Tom Landauer eine Formel für aussagekräftige Usability Tests bei möglichst geringem Zeit- und Kostenaufwand. Diese heute noch relevante Formel lautet:
N steht hierbei für die gesamte Anzahl von Usability-Problemen des vorliegenden Produktes und L für die Anzahl von Problemen, die von einer einzigen Testperson erkannt werden. Die wohl wichtigste Erkenntnis von Landauer und Nielsen ist, dass null getestete User:innen null Ergebnis bringen. Die zweitwichtigste ist, dass der Wert von L im Durchschnitt 31% beträgt.
Das bedeutet also, dass eine einzige Testperson fast ein Drittel aller Fehler einer digitalen Bedienoberfläche bereits im ersten Testdurchgang erkennt und benennt.
Optimal: Usability Tests mit drei bis fünf Proband:innen
Weil sich Menschen grundsätzlich ähnlich verhalten, doppeln sich einige der gefundenen Probleme bereits ab der zweiten Testperson. Dadurch verringern sich die neuen Erkenntnisse prozentual. Die dritte Person wird noch mehr der Handlungen der ersten oder zweiten Testperson wiederholen. Einiges wird sich sogar bei allen Testpersonen gleich darstellen. Die neuen Erkenntnisse werden demnach immer geringer, je mehr Menschen man zur Anwendung befragt. Trotzdem sollten grundsätzlich mehrere Testpersonen herangezogen werden, denn es gibt durchaus unterschiedliche Ergebnisse. Die Aussagen einer einzelnen Person sind nie aussagekräftig genug für einen seriösen Test. Je nach Produkt und Umfang der Zielgruppe, haben sich mehrere Testphasen mit mindestens drei bis höchstens fünf Personen bewährt.
Lauft Test-Sprints statt ermüdender UX-Marathons
Mit der ersten Testphase aus drei bis fünf Personen lassen sich nahezu drei Viertel der vorhandenen Probleme einer Bedienoberfläche lokalisieren. Aber was ist mit den übrigen Fehlern? Nein, ignorieren ist keine Option. Trotzdem sollten noch vor der nächsten Testphase die gefundenen Fehler behoben werden.
Das daraus entstandene Redesign wird mit drei bis fünf neuen Personen getestet. Diese liefern nun kostbare Informationen darüber, ob die Probleme gefixt werden konnten oder sogar neue Schwachstellen entstanden sind. Testphase zwei beschäftigt sich außerdem mit den tieferliegenden Strukturen des vorliegenden Produktes. Hierbei werden laut der Studie von Nielsen und Landauer 15% der ursprünglichen Probleme gefunden, die in Testphase eins noch unbemerkt blieben. Nach der erneuten Überarbeitung des Designs auf Basis der gesammelten Erkenntnisse bleiben lediglich 2% der Ausgangsprobleme übrig und das Redesign geht in Testrunde drei. Diese ist wichtig, um die letzten Ausgangsprobleme zu finden und alle vorgenommenen Änderungen auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen.
Um nicht in einer Never-Ending-Teststory zu versauern, ist in aller Regel an dieser Stelle Schluss. Die Formel zum Usability-Erfolg besagt: Drei Guerilla-Testphasen mit drei bis fünf Testpersonen bieten ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis für Usability-Tests.
Im Laufe der drei Durchgänge werden ganz nebenbei nicht nur Erkenntnisse über akute Usability-Probleme, sondern auch über das Verhalten der eigenen Zielgruppe ermittelt. Die beteiligten Designer:innen erhalten wichtige Informationen über die Bedürfnisse der Nutzer:innen, die direkt in die Fehlerbehebung mit einfließen können. So entsteht in mehreren Intervallen die ultimative Usability. Ist das nicht sowas von Win-win?
Die Usability ist also ein bisschen wie das weiße Kaninchen, das Alice intuitiv dazu bringt, ihm zu folgen. Dieses weiße Kaninchen der digitalen Welt ändert allerdings ab und zu seinen Kurs. Zum Beispiel immer dann, wenn große Anbietende eine Innovation einführen, welche die Gewohnheiten der Nutzenden beeinflusst. Usability ist kein starres Konzept, sondern eine sich ständig wandelnde Welt aus Emotionen und den daraus resultierenden Handlungen. Das Thema Usability sollte deshalb nie als “erledigt” abgehakt werden. Nur wer die reibungslose Nutzbarkeit seiner Anwendung ständig vom wachsamen Auge der eigenen Zielgruppe auf deren aktuelle Bedürfnisse hin in aussagekräftigen Usability-Tests überprüfen lässt, kann auf dem digitalen Markt langfristig bestehen.
Referenzen:
Nielsen, Jakob, and Landauer, Thomas K.: “A mathematical model of the finding of usability problems,” Proceedings of ACM INTERCHI’93 Conference (Amsterdam, The Netherlands, 24-29 April 1993), pp. 206-213.
Insights. Themen die uns um- und antreiben.
Alle Beiträge ansehen