Bau’ mir den Crazy Button!
Auffallen um jeden Preis? Warum UX besser performt, wenn sie Konventionen folgt
Die Historie des Web ist geprägt von technologischen Innovationen, mit denen Unternehmen gerne ihre Webseiten schmücken. 360-Grad-Views und überraschende Scrolleffekte für interaktives Storytelling sind möglich, beim Design von Menüs können sich Webdesigner richtig austoben. Aber macht es Sinn, diese außergewöhnlichen Elemente einzusetzen, um sich vom Wettbewerb abzuheben – nur weil man kann? Jakob Nielsen, Ph.D, Mitbegründer der Nielsen Norman Group, antwortet mit einem klaren Nein. Hoffnung auf Neues gibt es trotzdem.
Nutzer:innen mögen Veränderung nicht
Die Nielsen Norman Group beschäftigt sich mit Pionierarbeit rund um das Thema UX, führt bahnbrechenden User Research durch und begleitet UX-Entwicklung auch in der Praxis. Dabei bekräftigt sich immer wieder die Feststellung: Webseiten, die gut performen, setzen unter anderem auf Kontinuität. Sie arbeiten mit alt bewährten Strukturen und bereits gelernten Symbolen, um eine reibungslose User Journey zu liefern und Nutzer:innen nicht mit ungewohnten Hindernissen aus dem Marken-Kosmos zu schleudern. Nach Jakob Nielsen fundiert unser Nutzerverhalten auf folgender Gesetzmäßigkeit:
„Users spend most of their time on other sites. This means that users prefer your site to work the same way as all the other sites they already know.“
Jakob’s Law of the Internet User Experience
Nutzer:innen haben gelernt, wie Menüs aufklappen, wie Suchfunktionen funktionieren und wie sie zum Checkout eines Shops gelangen. Tausende von Webseiten haben es in ihre Synapsen tätowiert. Wer an dieser Stelle experimentiert, riskiert die Frustration der potenziellen Käufer:innen. Wie schnell klickt ihr weg, wenn ein Video nicht sofort lädt oder das Menü nicht wie gewohnt aufklappt?
Unsere Lernkurve ist messbar
Falls es euch dennoch beim nächsten Update in den Fingern juckt, das langweilige Burger Menü in eine Broadway-Performance mit tanzenden Buchstaben zu verwandeln, erdet euch mit ein paar schwerwiegenden mathematischen Erkenntnissen! Drei Jahrhunderte empirische Wissenschaft können nicht falsch liegen. Praktisch jeder Versuch, der unsere menschliche Lernfähigkeit untersucht, führt zur gleichen Erkenntnis. Je öfter wir dieselbe Sache üben, desto schneller führen wir sie im nächsten Versuch aus. Dieser Zusammenhang kann sogar in einer logarithmischen Lernkurve erfasst werden, die berühmteste davon ist die “Power Law”. Vermutlich, weil der Name so gut klingt.
In einem Experiment wurden hierbei Teilnehmer:innen befragt, einen Begriff aus einem Kuchendiagramm zu wählen. Die Reaktionszeit wurde gemessen und konnte in einer linear nach unten verlaufenden Kurve aufgezeichnet werden.
Nicht nur dieses, sondern auch viele weitere Untersuchungen in der Verhaltensforschung beweisen, dass wir Menschen mit Übung lernen. Da unser Gehirn jeden Tag an unzähligen Best-Practice-Webseiten übt, sich durch die digitale Welt zu navigieren, ist jede:r eurer potenziellen Kund:innen bereits ein absoluter Profi. Wer von den gelernten Mustern abweicht, fordert Nutzer:innen im falschen Moment zum Lernen und Denken auf. Denn Nachdenken ist nicht unbedingt erwünscht, wenn wir unter Zeitdruck gerade das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter einkaufen wollen.
Wie Innovation sich dennoch den Weg bahnt
Bedeutet das nun, dass wir niemals ein Fünkchen Erfindergeist auf unserer Webseite oder in unserer App an den Tag legen dürfen? Nicht unbedingt. Große Unternehmen können sich mehr Experimentierfreude erlauben. Marken wie Apple oder Nike besitzen genug Anziehungskraft, dass User:innen sich trotz der Mühe, Neues zu lernen, weiter auf der Seite aufhalten. Diesen Firmen gelingt es, innovative UX-Wege einzuführen und einzuschlagen, indem sie ihre User:innen auch durch Updates unausweichlich mit neuen Designs konfrontieren. Weniger bekannte Marken profitieren von diesen Erfahrungswerten der First-Mover, wodurch sich die UX-Standards kontinuierlich evolutionieren.
Das bisschen Magic, das Marken hervorhebt
Man muss jedoch kein Apple sein, um innovative UX-Elemente einzuführen. Wer sich mit einer besonderen UX bei Nutzer:innen einprägen möchte, sollte auf die kleinen, emotionalen Momente setzen, statt auf den großen Knall. Ein Mouse-Over, durch das User:innen ein interessantes Faktum erfahren, eine Mikro-Interaktion, die genau im richtigen Moment eine Bewegung auslöst, das sind die positiven Glanzmomente einer digitalen Journey, die schlussendlich zum Joy of Use beitragen.
„Jedes Unternehmen kann innovative UX-Elemente einführen – jedoch besser in kleinen Portionen, damit User:innen nicht mit zu hohen Lern-Hürden konfrontiert werden.“
ONEDOT
Auffallen ist nicht Aufgabe der UX
Innovation in der UX ist sicherlich ein Prozess fortwährender Evolution – doch um sich als Unternehmen von allen anderen Marken im digitalen Raum abzuheben, macht die UX nicht den Unterschied. Marken differenzieren sich in der Art, wie sie kommunizieren, nicht in der Weise, wie sie ihre Nutzer:innen führen. Am digitalen Touchpoint sollten diese zwei Elemente dann möglichst punktgenau aufeinandertreffen: Eine differenzierende Kommunikation multipliziert den positiven Effekt einer reibungslosen User Experience und umgekehrt. Das ist universelles Gesetz, würde Jakob sicherlich auch unterschreiben.
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